Der Suendenfall Schwedens

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1.GD Blumenteufel
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Der Suendenfall Schwedens

Post by 1.GD Blumenteufel »

7. Mai 1945. In Reims unterzeichnetGeneraloberst Alfred Jodl, Chef des Wehrmachtsführungsstabes, die Urkunde über die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches.

Rund 2000 Kilometer nordöstlich rennt zur gleichen Stunde ein Trupp deutscher Soldaten durch die Nacht den Strand der Halbinsel Hela entlang, die in die Danziger Bucht ragt.

Die Soldaten auf Hela sind versprengte Panzergrenadiere. Jeder Ausweg scheint ihnen versperrt- im Rücken die Rote Armee, links die Ostsee, rechts das Wasser der Putzinger Nehrung. Jetzt droht den Deutschen russische Gefangenschaft. Aber die Soldaten wollen den Russen entkommen - um jeden Preis.

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Walter Schielke hat in der Geschichte der 121. ostpreußischen Infanteriedivision einen sehr aufschlußreichen Bericht über die schwedische Internierung und was dann kam gegeben, der ein echtes Dokument der Zeitgeschichte ist.

In diesem Bericht spiegelt sich auch das Schicksal vieler Einzel-flüchtlinge, die aus Kurland, von der Insel Hela, aus Ostpreußen und Pommern die Flucht über die Ostsee wagten, und in schwedischer Internierung landeten. Vor allem auch das Schicksal der Balten, die unter allen Umständen der sowjetischen Gefangenschaft entgehen wollten, weil sie wußten, daß ihnen, die von den Sowjets als Sowjetbürger reklamiert wurden, nichts anderes als der Tod bevorstand.

Und auch diese Geschichte gehört zu der Dokumentation der schwedischen Odyssee deutscher Soldaten. Der damalige Oberleutnant Willy Lückerath von der 126. Infanteriedivision berichtet:
»Am 8. Mai 1945 wurde die Kapitulation unterzeichnet. Ich war damals in Kurland. Dort sollten erst 48 Stunden später die Waffen schweigen. Ich hatte den Rang eines Oberleutnants und lag als Verwundeter mit anderen Verwundeten auf dem Flugplatz LibauSüd.

Zu unserer größten Überraschung erschienen an diesem 8. Mai 1945 deutsche Flugzeuge aller Typen in erstaunlicher Zahl. Sie kamen aus Norwegen. Alle in Norwegen stationierten deutschen Maschinen seien zu diesem Unternehmen mit britischem Kraftstoff aufgetankt und nach Libau geschickt worden mit dem Auftrag, möglichst viele deutsche Soldaten, in erster Linie die Verwundeten, aus dem KurlandKessel zu holen, so sagten uns die Piloten.
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Lagerführer des inzwischen mit 127 Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften besetzten Gutshofes war der schwedische Kapitän Nielsen, ein freundlicher Mann, der uns immer wieder versicherte, der Aufenthalt in Schweden werde für uns bald enden. Nach Erledigung einiger Formalitäten werde unserer Abreise nach Kiel nichts mehr im Wege stehen.«

Von besonderer Bedeutung für die spätere Entwicklung und die Auslieferung an die Russen ist Lückeraths Feststellung, daß er in den schwedischen Internierungslagern eine große Anzahl von Soldaten und Offizieren traf, die zum Teil durch wunderliche Umstände auf dem See- oder Luftweg in schwedische Internierung gerieten, aber nicht an der Ostfront gekämpft hatten. Er benennt zum Beispiel zwei Offiziere aus Norderney und einen Stabsoffizier aus Rommels Stab.

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In den Dokumenten der Wissenschaftlichen Kommission der Bundesregierung für Kriegsgefangenengeschichte heißt es: »Wie von schwedischer offizieller und inoffizieller Seite des öfteren bezeugt wurde, war die Moral der deutschen Internierten außerordentlich hoch, die Disziplin vollendet und die Organisation perfekt. Nicht zuletzt wurde der allgemeine und an sich ausgezeichnete Arbeitswille besonders geschätzt. «

Die Internierten wurden besser verpflegt als in den Jahren an der Front im Osten. Sie erhielten die gleiche Zigarettenzuteilung wie die Soldaten der schwedischen Armee. An Offiziere und Mannschaften wurde alle zehn Tage pünktlich Wehrsold gezahlt: Mannschaften zwölf Kronen; Unteroffiziere 16, Stabsfeldwebel und Leutnante 20 Kronen, Oberleutnante 24 Kronen etc. Pünktlich jeden Samstag wurde die Leibwäsche gewechselt, einschließlich zweier Handtücher, Taschentücher und Socken. ...

Mit der schwedischen Bevölkerung gab es sehr bald recht guten Kontakt. Mit der Außenwelt standen sie durch Presse und Rundfunk in Verbindung. Es gab schwedische, englische und schweizerische Zeitungen, jede Kompanie erhielt einen Radioapparat. Noch hielt sich die schwedische Regierung peinlich genau an die internationalen Vereinbarungen über die Behandlung von internierten Militärpersonen. So fiel es den Deutschen leicht, auf die Ordnung der Verhältnisse im besiegten Deutschland zu warten. Bald, so glaubten sie, würden sie in die Heimat zurückkehren können.

Aber über der Idylle schwebte schon die Katastrophe, die schließlich mehr als 2500 deutsche Soldaten mit sich riß.

In Stockholm war im Sommer 1945 eine Allparteien-Regierung--mit Ausnahme der Kommunisten - im Amt. An der Spitze stand der Sozialdemokrat Per Albin Hansson.

Am 2. Juni 1945 überreichte der sowjetische Gesandte Tschrenyschew, in Vertretung der Botschafterin Frau Kollontai, dem schwedischen Außenminister Günther eine Note. Darin ersuchten die Russen die Schweden, diejenigen in Schweden internierten deutschen und baltischen Soldaten der Deutschen Wehrmacht an Moskau auszuliefern, die zum Zeitpunkt der Kapitulation an der Ostfront gekämpft hatten und nach der Kapitulation nach Schweden geflohen waren.

Der Text der Note war nicht besonders dringlich. Er enthielt keine Warnungen oder gar Drohungen.
Das schwedische Außenministerium hatte dem Ministerpräsidenten Per Albin Hansson zwei Antworten auf die Note vorbereitet. Eine, in der dem Wunsch der Russen entsprochen wurde. Eine zweite, in der der Wunsch abgelehnt wurde.

Ministerpräsident Per Albin Hansson las die Note der Russen und die Entwürfe der Antworten. Er bat sich keine Bedenkzeit aus. Er setzte sich auch nicht mit den Westalliierten in Verbindung. Er entschied sich zwischen Frühstück und Mittag für die Auslieferung der Deutschen.

Und über die Bereitschaft hinaus, die völkerrechtlich strittige Forderung der Russen zu erfüllen, erklärte sich die schwedische Regierung bereit, auch solche Soldaten auszuliefern, die schon vor der Kapitulation in Schweden Zuflucht gesucht hatten und denen daher in ganz hesonderer Weise nach dem Völkerrecht Asylrecht zustand. Dies widersprach nicht nur allen internationalen Konventionen über Kriegsgefangene, sondern auch dem geltenden Völker- und Asylrecht. Am 11. Juni 1945 beriet der Auswärtige Ausschuß des schwedischen Reichstages unter Vorsitz des 87jährigen Königs Gustaf V., der als Tennisspieler bekannt geworden war, über das Begehren der Russen. Der Tag war heiß, die Sitzung dauerte lange, die Frage der Auslieferung der Deutschen stand am Ende der Tagesordnung.

Die Wissenschaftskommission berichtet über diesen entscheidenden Augenblick: »Wie Notizen, Memoiren und späteren Reichstags-reden der Teilnehmer zu entnehmen ist, war man vollkommen desinteressiert. Man nahm an, es handle sich um eine Auslieferung an eine interalliierte Kommission. « Der Außenausschuß stimmte zu, vier Tage später auch der Ministerrat.

Am 16. Juni 1945 besiegelte die schwedische Regierung das Schicksal der Gefangenen mit einer Note an Moskau: Ja zur Auslieferung, zur uneingeschränkten Auslieferung aller deutschen und baltischen Soldaten.
Warum dieser Rechtsbruch? Warum in Gottes Namen?

Aus dem Bericht der Wissenschaftlichen Kommission der Bundesregierung für Kriegsgefangenengeschichte:
»Sehr bald wurde erschreckend klar, daß der Auslieferungsbeschluß der Regierung in eklatantem Widerspruch zu den laut verkündeten Grundsätzen von Humanität und Neutralität stehe, ganz zu schweigen von der Tatsache, hierbei von völkerrechtlichen Normen abgewichen zu sein. Die am 31. Juli 1945 angetretene rein sozialdemokratische Regierung (von Schweden), die behauptete, betreffend der Auslieferung nur einen Beschluß der von ihr abgelösten Koalitionsregierung zu erfüllen, war angelegentlich darum bemüht, mit der Sowjetunion einen Handelsvertrag abzuschließen. Das ganz öffentlich ventilierte Gerücht, die Regierung hätte deswegen an der Auslieferung festgehalten, um Rußland in jeder Weise günstig zu stimmen, dürfte vieles für sich haben. Zwei Umstände sind da beachtenswert: daß erstens Schweden mehr Soldaten auslieferte, als Rußland für billig erachtete, und daß zweitens Rußland in keiner Weise übermäßig an der Übernahme der Soldaten interessiert war.«
Zu diesem Zeitpunkt saßen in den schwedischen Internierungslagern Backamo, Ranneslätt, Grunnebo und Rinkaby 2998 Mann, unter ihnen 167 Balten, die an der Seite deutscher Soldaten im Osten gekämpft hatten. Von den ursprünglich 500 Balten waren viele unter Hilfestellung der schwedischen Bevölkerung geflüchtet. In die Internierungslager drang vorerst kein Wort von dem Vorhaben der Schweden. Die Deutschen arbeiteten, spielten und warteten auf den Transport in die Heimat.

Anfang November 1945 machte im russischen Eismeerhafen Murmansk das Transportschiff >Kuban<los>Kuban<mu>Großer Gott, wir loben Dich< gesungen wurde.«

Die Hoffnung währte nur drei Tage.

Lager Backamo, 30. November 1945, Freitag. Die Internierten werden um 5.00 Uhr geweckt. Sie treten zum Appell auf dem Lagerplatz an. Ein Offizier teilt mit, daß um 12.00 Uhr die erste Gruppe mit Autobussen zum Bahnhof und dann auf das Schiff nach Rußland transportiert werden soll, die zweite Gruppe um 18.50 Uhr. Die Soldaten gehen in die Baracken zurück.

Und dann geschieht es.
Um 6.25 Uhr schlägt ein deutscher Soldat mit einer Axt in seinen Fuß. Raserei bricht los. Ein zweiter Deutscher greift zu einem Messer und stößt es in die eigene Brust. Ein Offizier erhängt sich. Mehr als hundert Internierte schlitzen sich die Pulsadern auf.

Dann kommen schwedische Polizei und Soldaten. Sie schlagen mit Gummiknüppeln auf die Verletzten ein. Sie schleppen die Soldaten der ehemaligen deutschen Armee über den Lagerplatz zu den Autobussen.'
Oberleutnant Willy Lückerath hechtete über den Zaun des Lagers und floh ins schwedische Krankenrevier. Der schwedische LazarettSergeant Granberg versteckte ihn auf dem Speicher. Doch die Staatspolizei setzte zwei Spürhunde ein, sie machten Lückeraths Versteck aus, und die Polizisten holten ihn mit Gewalt vom Dachboden.
Im Lager Ranneslätt steigt um 8.35 Uhr eine rote Rakete in den Himmel - Angriffssignal für Polizisten und Soldaten. Sie stürzen in das Lager, um die Deutschen herauszuholen.
Die Internierten rennen aus den Baracken und klammern sich aneinander, Mann an Mann, 200 Deutsche, dicht an dicht. Sie knüpfen ihre Gürtel und Koppel und ihre Schnürriemen zusammen - ein Karree der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.

Da stehen sie. Umringt von blau-schwarz uniformierten, behelmten Polizisten mit Schlagstöcken. Polizisten und Internierte starren sich an. Dann heben die Polizisten ihre Stöcke.

Der deutsche Lagerälteste stößt sich im gleichen Augenblick einen Dolch in die Brust. Andere Gefangene ziehen Rasierklingen durch ihr Fleisch. Sie schlucken scharfkantige Metallgegenstände. Die Polizei zerprügelt den Widerstand. Die Deutschen werden in den Zug getrieben und nach Trelleborg auf die >Kuban<gebracht>feierliche<bergabe>Nu, dawai<zeigte>Bjalostrow<, einem ehemaligen finnischen Passagierdampfer verfrachtet. Als Mildenberger am 25. Januar 1946 an Bord gebracht wird, sagt man ihm, es sei nur für ein paar Monate. Die »paar Monate« dauerten vier Jahre!

Viele Schweden beobachteten an diesem Nachmittag des 25. Januar 1946 in Trelleborg wie die deutschen Gefangenen müden Schrittes die Gangway zu dem Russendampfer hinaufstiegen. Viele mußten sich auf Kameraden stützen, und viele wurden auf Bahren getragen.

Ein lettischer Offizier, der in der Deutschen Wehrmacht gekämpft hatte, schritt auf die Gangway zu. Unmittelbar vor ihr blieb er stehen, blickte auf das Schiff mit dem russischen Namen. Polizisten schrien:
»Weiter, weiter.« Da zog der Lette einen Dolch und stieß ihn in seine Brust. Er starb an der Gangway - im neutralen Königreich Schweden.

»Schwedenfahrer« hießen die ausgelieferten Internierten im Lagerjargon. Und alle »Schwedenfahrer« wurden in Libau gesammelt, im berüchtigten Lager »Zuckerfabrikx. Hier warteten die vom ersten Transport auf die letzten.



Im Februar 1946 begannen dann die Registrierungen und die Finteilungen in die Berufs- und Arbeitsgruppen. Und dann wurden sie in alle Winde Rußlands verstreut. Eingereiht in das Heer der ärmsten der Armen.



Aus Paul Carell “Die Gefangenen” / Ulstein 1980

mfg Arnulf
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